Den Naturgesetzen folgen
Ein Interview mit Heidi Gutschmidt
Mit dem RoSana Ayurveda Kurzentrum ging für Heidi Gutschmidt im Jahr 2005 ein Lebenstraum in Erfüllung – der Weg hin zu Ayurveda war dabei eher von Zufällen geprägt. Im Gespräch erzählt sie, wie sie mit dieser Heilkunst in Berührung kam, was sie sich für ihre Kurgäste wünscht und welchen Stellenwert Ayurveda in ihrem Leben hat.
Als Juristin begannen Sie Ihre Karriere zunächst im Unternehmen Ihres Vaters, waren in der Personalleitung tätig und gründeten schließlich Ihre eigene Kanzlei. Wie sind Sie letztlich mit Ayurveda in Berührung gekommen?
Als Anwältin habe ich lange Zeit mental kranke und ältere Menschen betreut und dafür gesorgt, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstbestimmt leben konnten. Irgendwann wollte ich aber etwas anderes und tatsächlich einen Cut vollziehen. Ich hatte dabei das große Glück, ein Sabbatjahr einlegen zu können, um zu schauen, wo und wie es für mich weitergehen soll.
Für diese Zeit habe ich mir Indien als Ziel ausgesucht, wo ich noch nie zuvor war. Als farbaffiner Mensch wollte ich sehen, ob es dort tatsächlich so bunt ist und ob die Spiritualität tatsächlich so gelebt wird, wie man es immer hört. Vor meiner Abreise empfahl mir ein Freund eine Panchakarma-Kur zum Start meiner Reise – also eine tiefgehende Reinigungskur. Was soll ich sagen? Am 1.12.2001 saß ich im Flugzeug nach Bombay, dem heutigen Mumbai, und begann meine erste fünfwöchige Kur in einer Ayurvedaklinik.
Würden Sie aus dieser Erfahrung heraus jedem eine Ayurveda-Kur empfehlen, dessen Leben gerade im Umbruch ist?
In jedem Fall. Und es ist erstaunlich, wie viele unserer Kurgäste eine längere Auszeit mit einer Panchakarma-Kur bei uns beginnen. So kann man sich zunächst von Ballast befreien. Altes loslassen, damit Neues entstehen kann. Ob innere Schlackenstoffe oder alte Emotionen, die immer wieder hochkommen – all das lässt sich auf diese Weise loswerden. Dadurch bekommt man auch wieder ein Gefühl für sich selbst und Antworten auf die Fragen: Wer bin ich eigentlich? Wo mag ich hin, wofür möchte ich brennen? Was kann ich verwirklichen? Die innere Natur kommt nach außen – das kann durch Ayurveda unterstützt oder sogar neu entdeckt werden.
„Ayurveda
ist perfekt für
learning
by doing. “
Denken Sie, dass viele Ihrer Kurgäste weniger wegen körperlicher Beschwerden kommen, sondern tatsächlich, um ihr seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen?
Beides. Es gibt tatsächlich Kurgäste, die »nur« mental gesunden und wieder in eine psychische Balance kommen wollen. Das sagen so zunächst nur wenige, aber wir tragen ja alle Ballast mit uns herum. Und es gibt Kurgäste mit konkreten, physischen Beschwerden.
Das Großartige an Ayurveda ist es aber gerade, dass der Mensch in seiner Gesamtheit betrachtet wird. Viele Krankheiten wie Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Verspannungen oder Bandscheibenbeschwerden sind oft psychosomatischer Natur. Alles ist miteinander verbunden.
Gerade die Corona-Epidemie führte bei vielen zu extremer Belastung, zu Anspannung, Müdigkeit, Depressionen und Ängsten – daher haben wir derzeit einige Gäste, die einfach wieder zu sich kommen und Kraft tanken möchten.
Was hat Sie von Beginn an persönlich an Ayurveda fasziniert?
Ich hatte mich vor meiner Indien-Reise ja gar nicht mit Ayurveda beschäftigt und wusste nicht, was auf mich zukommt. In vollkommener Ahnungslosigkeit war ich dann doch überrascht, wie sehr es zur Sache geht. Was mich dabei gleich fasziniert hat, war die Individualität, mit der man als Patient betrachtet wird. Wie ein Therapeut über die Pulsdiagnose, das Tasten der Gewebebeschaffenheit und anderer ayurvedischer Diagnostik den Menschen sofort erkennt. Da muss man selbst nicht viel von sich erzählen.
Zudem hat mich die Logik fasziniert, die hinter Ayurveda steckt. Sich den Naturgesetzen hingeben, die aufeinander aufbauen und nachvollziehbar sind. Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch und lerne neue Dinge am liebsten durchs Ausprobieren. Ayurveda ist perfekt für »learning by doing«.
Mit RoSana ging dann ein Lebenstraum in Erfüllung?
Auf alle Fälle. Ich habe vor meiner aktiven Zeit als Anwältin noch eine psychotherapeutische Ausbildung gemacht, um zu erfahren, was man alles für sich selbst tun kann. Wie man zu sich findet und sich nicht von außen und alten Eindrücken steuern lässt. Schließlich wollte ich einen Platz schaffen, an dem man Menschen auf diesem Weg begleiten kann – und zwar von da, wo und wie sie gerade sind. Einen Ort, an dem sie zu Kraft finden, ihre innere Freiheit wiedererlangen und damit mehr Freude im Leben haben.
Zur Gründung von RoSana kam es dann zusammen mit meinem Mann, den ich in Indien bei der Kur kennenlernte. Er wollte als Heilpraktiker schon immer die Schulmedizin mit der Naturheilkunde unter einem Dach zusammenbringen – als zwei Disziplinen, die sich ergänzen.
Sie haben sich also nicht nur als Menschen gesucht und gefunden, auch ihre Lebensträume ließen sich gut verbinden …
So kann man das sagen.
Entdecken Sie nach dieser langen Zeit immer noch neue Aspekte im Ayurveda für sich?
Ich leite ja das RoSana und bin kein Arzt, bekomme aber natürlich viel mit. Im Grunde schaue ich inzwischen eigentlich alles im Leben durch die Ayurveda-Brille an und lerne in den Besprechungen mit dem Therapeuten-Team immer etwas dazu. Das ist und bleibt absolut spannend.
Für mich ist es nach wie vor faszinierend, dass man über das Vata-Pitta-Kapha-Prinzip viel besser auf bestimmte Dinge eingehen kann. Zurzeit ist die Gesellschaft beispielsweise sehr Vata-getrieben – alles wird immer schneller, es herrscht wenig Ruhe. Aus dem ayurvedischen Blickwinkel heraus kann man besser einordnen, was in unserer Gesellschaft und in unserem Leben gerade passiert und was es demzufolge braucht, um einen Ausgleich zu schaffen.
Da kommen wir wieder zum logischen Aufbau von Ayurveda und zu den Naturgesetzen: Wenn man diesen folgt, dann entdeckt man jeden Tag etwas für sich und versteht viele Dinge aus dieser Sicht auch besser. Die Jahreszeiten, welches Essen einem guttut – es ist gar nicht kompliziert, wenn man die Prinzipien verstanden hat.
Welche Rückmeldungen von Gästen berühren Sie besonders?
Schönes Feedback gibt es eigentlich täglich. Was mich immer wieder aufs Neue berührt, ist, wenn Gäste sagen, sie hätten sich wiedergefunden. Es gibt so viele Menschen, die sich gar nicht mehr spüren und durch den Druck von außen sowie das tägliche Hamsterrad keinen innerlichen Zugang zu sich haben. Wenn man dann sieht, wie diese bei uns ankommen und wie sie wieder gehen – mit einem Strahlen im Gesicht –, das ist immer wieder berührend.
Als „Paradies-Verwalter“ wurden wir schon bezeichnet, dass sich unsere Gäste gut aufgehoben fühlen und merken, dass hier jeder im gesamten RoSana-Team alles gibt, damit sie loslassen können – das sind schöne Komplimente. Denn darum geht es hauptsächlich bei uns: ums Loslassen.
Eine Ayurveda-Kur ist also ein Stück Lebensqualität, die man sich gönnt?
Auf alle Fälle. Die Menschen gewinnen die Lebensqualität zurück, die sie aus welchen Gründen auch immer verloren haben.
Was würden Sie einem absoluten Ayurveda-Neuling empfehlen? Vorsichtig hineinschnuppern oder gleich einen längeren Aufenthalt?
Am besten sind tatsächlich gleich vierzehn Tage. All unsere Gäste, die drei oder vier Tage bei uns sind, sagen einhellig, das nächste Mal werden sie länger kommen.
Ich verstehe zwar, dass man zunächst vorsichtig ist – schließlich ist eine Ayurvedakur nicht ganz günstig –, aber 14 Tage sind für den Behandlungsablauf besser. So bleibt für jede einzelne Phase der Kur genug Zeit und es ist gerade für Neulinge nicht so anstrengend.
Sie haben gerade das neue Gästehaus errichtet. Gibt es denn weitere Expansionspläne?
Nein, in keinem Fall. Wir wollen nicht weiterwachsen. Die Kapazitäten sind gut ausgelastet und alles darüber hinaus würde zu einem Stressmoment führen, den wir weder für unsere Gäste noch für unsere Mitarbeiter wollen. Wir haben gut zu tun und möchten klein, aber fein bleiben.
Wie viele Gäste können Sie im RoSana unterbringen?
Wir haben 11 Doppelzimmer und 5 Einzelzimmer, wobei die Doppelzimmer natürlich nicht immer belegt sind. Meistens haben wir zwischen 16 und 22 Gäste.
Wenn man bedenkt, dass Sie drei Ayurveda-Köche beschäftigen …
Ja, unser Personalschlüssel ist sehr hoch.
Das ist fast wie in einem Luxushotel.
Von der Betreuung her in jedem Fall. Und die qualitative Ausstattung der Zimmer in Bezug auf die Materialien findet man nicht unbedingt oder per se in luxuriösen Hotels. Um sich wohlzufühlen, kommt es auch nicht unbedingt auf eine üppige Ausstattung an. Unsere Kurgäste schätzen die natürliche und familiäre Atmosphäre in unserem Haus.
Eine gewisse Reduktion gehört ja auch zum Ayurveda … loslassen, Ballast abwerfen.
Genau.
Ayurveda ist für Sie …
… das Leben in seiner ganzen Fülle anzuschauen und auf natürliche Art und Weise zu erfahren. Den Naturgesetzen zu folgen. Ayurveda ist einfach inzwischen mein Leben.